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Zeitreise in das neunzehnte Jahrhundert

Underground Station Baker Street
Ehrfurchtsvoll betrete ich das Haus. Vor mir liegt ein enger Flur. Zwei Menschen können kaum nebeneinander stehen. Ich steige die Treppe hinauf, zähle die Stufen. Schritt für Schritt. Siebzehn Stufen! Exakt die Anzahl, die ich erwartet habe. Hier bin ich richtig! Ich bin angekommen, schaue auf, betrete den Raum, der vor mir liegt…
London, Dienstag der 12. Juli 1881. Ich befinde mich in der Baker Street 221 b. Es ist angenehm warm, denn der Kamin ist entzündet. Draußen scheint die Sonne, aber ein kühler Wind weht. Das Wetter mutet herbstlich an. Erst seit kurzem lebt Dr. John Watson in dieser Wohnung zusammen mit Sherlock Holmes. Was er vermutlich noch nicht weiß: Dies ist der Beginn einer Freundschaft, die so besonders ist, dass selbst 135 Jahre später ihrer beider Namen noch in aller Munde sein wird. Ihre gemeinsamen Abenteuer füllen Bücher, Hörspiel-CDs, DVDs und ganze Kinosäle. Seit Generationen fesseln ihre Erlebnisse jung und alt. Zunächst unter dem Pseudonym ‚Arthur Conan Doyle‘ wird John Watson zum Chronisten des Consulting Detectivs Sherlock Holmes. Seine Aufzeichnungen werden in Zeitungen und später auch in Büchern publiziert und sind bis heute erhältlich. Seit dem Jahr 1990 ist es nun auch möglich ihre ehemalige Wohnung in der Baker Street 221 b zu besichtigen.

Vollgestopft, aber urgemütlich: Wohnzimmer in der Baker Stret 221 b
Es ist eng hier, alles wirkt etwas klein und gedrungen. Hinzu kommt Sherlocks Eigenart sich nicht besonders um Ordnung zu kümmern. Die Regale sind voll gestopft, überall liegt etwas rum. Und doch: Alles ist an seinem Ort. Der persische Pantoffel steht auf dem Kaminsims (der zweite ist übrigens in Sherlocks Schlafzimmer zu finden), das Mikroskop steht an seinem festen Platz auf dem Experimentiertisch… und da ist auch die Stradivari. Dr. Watsons Arztkoffer steht offen auf dem Stuhl. Jemand hat mit einer Pistole Löcher in die Wand geschossen. Wir bewegen uns beim Besichtigen der Wohnung durch die Zeit. Bis in das Jahr 1904 lebte Sherlock Holmes in der Bakerstreet.

Hier forscht und experimentiert Sherlock Holmes.
Direkt neben dem Wohnzimmer ist Sherlocks Schlafzimmer. Eine Etage höher hat John sein Zimmer, ebenso wie Sherlocks Zimmer liegt das Fenster zum Hinterhof raus. Man schaut auf Gewächshäuser. Auch Mrs. Hudson hat hier ihre Räumlichkeiten. Sie scheint den Duft von Lavendel und Zitronengras zu mögen. Ich sehe Aromaöle bei ihr stehen.
Ich sauge die Eindrücke in mir auf, finde immer wieder Gegenstände, die mir vertraut sind. Da ist eine Voodoo-Puppe (na, wer weiß mit welchem Fall sie verbunden ist?), da ist ein Orden (von der französischen Regierung), hier finde ich einen persönlichen Brief von Sherlock an John, da ein Notizbuch und natürlich ein Buch über Bienenzucht. Die Wohnung macht einen fast altvertrauten Eindruck auf mich. Natürlich komme ich bald ins Schwärmen, zeige meiner Schwester und meinem Neffen Dinge und erzähle die Episode dazu. Überall gibt es etwas zu finden, überall stecken Geschichten. Die Luft ist erfüllt von dem Duft der Vergangenheit. Und wenn ich ganz genau hin höre, dann höre ich draußen die Droschken die Baker Street entlang fahren.

Ein Drei-Pfeifen-Problem scheint gelöst werden zu müssen, denn ein Pfeife ist im Einsatz…
Irgendwann muss ich doch wieder aufbrechen. Leider. Das London des Jahres 2016 ruft uns unwiderruflich zurück. Wir können nicht hier bleiben. So ist das nun einmal bei Zeitreisen. Sie sind immer nur ein kleiner Ausschnitt. Und doch hat sich diese Zeitreise absolut gelohnt. Ich fühle mich glücklich und bereichert. Seit Jahren habe ich diesen Ausflug in die Bakerstreet 221 b herbeigesehnt, jetzt habe ich mir den Wunsch endlich erfüllen können. Und schon wieder bin ich wie verzaubert…

Und nachher geht es hier einkaufen…
Ob London noch mehr Magie zu bieten hat? Lasst Euch überraschen!
Am I Sher-locked?
Ich stamme aus einer Familie, die unter mehreren Infektionen leidet, welche auf mich übersprangen. Von meinen Eltern bekam ich das Science Fiction Fieber, von meiner Großmutter die Krimi-Infektion mit speziellen Auswüchsen. Während sich das Science Fiction Fieber wuchernd in alle Bereiche des Genres ausdehnte, betraf die Krimi-Infektion zunächst vor allem Detektivgeschichten und hat sich erst später weiter ausgedehnt.
Durch diese zweite Infektion ist es naheliegend, dass ich bereits früh eine Vorliebe für die Hörspiele und Filme rund um Sherlock Holmes und seinen Freund Dr. Watson entwickelte, hatte doch meine Oma die ganze Bücherbox zu Hause (naja, sie hatte auch alles von Edgar Wallace und der göttlichen Agatha Christie), auf deren Rücken die zusammengesetzten Bücher das Portrait des Meisterdetektivs zeigten. Ich erinnere mich noch daran, wie ich als 13-jähriges Geschöpf erstmalig nach London reiste und die Bakerstreet besuchte. Die U-Bahnstation war geschmückt mit zahlreichen Motiven rund um Holmes. Das beeindruckte mich zutiefst und lies meine Bewunderung für den brillanten Geist des Detektivs nur weiter wachsen.
Naheliegend war es auch, dass ich mit diesen Infektionen eine ebenfalls infizierte zweite Hälfte anzog und so wuchs die Film- und CD Sammlung bei gemeinsamen Sammeln an, wobei bei den Filmen sich leider auch die ein oder andere Irritation mit in unser DVD Regal verirrte.
Bis… ja, bis dann im Sommer 2011 die neue BBC-Serie Sherlock ins TV kam. Eine Serie, die die Ereignisse rund um den Meisterdetektiv in die heutige Zeit transformierte. Ein Muss für uns! Und so verfolgten wir die erste Staffel der Serie komplett. Sie hinterließ bei mir gemischte Gefühle. Ja, ich erinnere mich an einen Anruf meiner Mutter, die mir empört am Telefon mitteilte: „DAS ist nicht Sherlock Holmes!“ Und ich glaube meine Oma hätte sich eventuell auch im Grabe umgedreht.
Irgendwie war mir die Serie mehr als suspekt. Da saß ich nun, hatte mir die Fälle alle angeschaut und war ratlos. Ich hatte keine Ahnung, was ich davon halten sollte. Um mich herum hingegen brach das Sherlock-Fieber aus, wobei es sowohl Opfer mit bereits vorliegender Krimi-Infektion als auch gesunde Geister betraf. Warum bekam ich kein Fieber?
Was war denn das auch für eine seltsame Darstellung des Meisterdetektivs in ‚Sherlock‘? Holmes war schon immer ein schwieriger Charakter, mit einer Menge obskurer Eigenschaften. Ein kettenrauchender Chaot, der schon mal mit seinem Geigenspiel nerven konnte. Aber zugleich ein Mann, der es schaffte den gequälten Dr. Watson, wenn er einen Anfall im Angesichts des Chaos bekam und auf das Aufräumen der Wohnung bestand, charmant mit einer Erzählung eines alten Falles einzuwickeln. Und somit war auch der lesende oder hörende Teilnehmer ganz hingerissen von den Ereignissen. Aufgeräumt freilich hat Holmes selten. Und der allmorgendliche Konflikt der beiden Herren um die nur einmal vorhandene Times, auch der ist altvertraut.
Aber der in der Serie ‚Sherlock‘ dargestellte Soziopath Sherlock Holmes, dessen IQ möglicherweise genial hoch, dessen EQ hingegen aber gegen nicht vorhanden strebt, gefiel mir gar nicht. Hier wird ein arroganter, von sich eingenommener, gefühlskalter, zynischer Charakter gezeigt, von dem man sich fragt wie Watson überhaupt auch nur auf den Gedanken kommen konnte mit ihm in eine WG zu ziehen. Schon die erste Begegnung war obskur und mysteriös und irgendwie… unsympathisch. Und eigentlich übertrifft in Antipathie nur Holmes arroganter Bruder Mycroft den Detektiv. Dessen Darstellung verwirrte mich vollends. Armer Watson, aber er hatte diesen Schritt in die Bakerstreet ja bei freiem Geist und freier Entscheidungsfreiheit gemacht. Entschuldigend wirkt hier gegebenenfalls sein posttraumatisches Streßsyndrom. Das kann schon mal zu etwas wirren Entscheidungen führen. Ja, und dann nervte mich an dieser Serie auch noch diese permanenten homosexuellen Anspielungen/Distanzierungen/Erläuterungen. Es war dann auch irgendwann selbst für meinereiner ermüdend.
Die zweite Staffel von Sherlock schaute ich nicht… das heißt, den Reichenbachfall konnte ich mir nicht verkneifen, ich sah ihn etwa zu 2/3, da ich den Anfang verpasste. Doch damit schien das Kapitel beendet zu sein… schien.
Eines Tages kam meine Freundin strahlend zur Tür hinein: „Ich habe Dir was mitgebracht!“ sagte sie und ich erwartete neue Hörspiele, die sie stets in der Tasche hatte, um gute Unterhaltung ins Haus zu bringen. Doch sie zückte eine DVD-Packung. „Die schenke ich Dir.“ Und da lag sie vor mir, die erste Staffel von Sherlock. Ein Geschenk von meiner Freundin. Sie wollte mir eine Freude machen. Ich schaute auf die Packung. Gemischte Gefühle. Immerhin hatte ich die erste Staffel gesehen. Alle Teile. Ich hatte nicht aus geschaltet, was ich durchaus des öfteren tue, wenn mir ein Film nicht gefällt. Warum hatte ich eigentlich nicht aus geschaltet? Hatte ich mich vielleicht doch gut unterhalten gefühlt? Naja, man konnte sich die Serie ja noch mal in Ruhe anschauen… Vielleicht auch einfach mal den Hinterkopf ausschalten beim schauen?
So kam es also, dass ich es mir vor meinem Fernseher bequem machte, die erste DVD rein warf und… I’ve been sherlocked. Von der ersten Minute an riss mich die Serie in ihren Bann und ich war absolut begeistert. Ich inhalierte die drei Filme regelrecht und verstand überhaupt nicht mehr, weshalb ich vorher so skeptisch gewesen war. Nein, statt dessen ließ ich mir umgehend auch die zweite Staffel als Geschenk ins Haus liefern und gab mich ihr genauso begeistert hin. Ja, ich mußte über das, was mir vorher so aufgestoßen war, sogar mehr als einmal lachen. Denn die Serie präsentierte mir das Sherlock Holmes Prinzip am eigenen Leib, wobei ich diesmal in der Rolle des Dr. Watson war: Ich hatte mir die Filme angeschaut. Und hatte alle Fakten. Doch obgleich alles vor mir lag, war ich nicht in Stande den Fall zu lösen. Betriebsblindheit auf Grund eines hohen Konsums von Sherlock Holmes hatte mich zwar dazu gebracht die Serie zu verfolgen, aber sie nicht in mein Innerstes dringen lassen. Statt dessen war ich dem Produkt mit Vorurteilen und festen Vorstellungen begegnet. Erst beim zweiten Schauen konnte ich meine eigenen Erwartungen an eine Holmes Verfilmung hinten anstellen und mich voll und ganz auf die Serie einlassen. Und dies sollte ich nicht bereuen! Eine geniale Verfilmung, in der ich bei jedem Sehen noch etwas Neues/Altes entdecke. Ich freue mich schon auf die dritte Staffel!
I am Sher-locked
Und was ist mit Dir? Wie ist es Dir mit dieser Serie gegangen?